Martin Binder

unerwünscht

2014

urbane Interventionen, je 2x2m

Was ist draußen?

Draußen bedeutet immer auch: nicht drinnen. Das Konzept der künstlerischen Arbeit „Unerwünscht“ konzentriert sich auf die soziale Komponente des „draußen-Seins“. Ausgangspunkt sind die Raucherbereiche auf deutschen Bahnhöfen. Skurril wirken die rechteckigen Markierungen auf dem Bahnsteig, innerhalb derer sich Rauchende aufhalten müssen/sollen/dürfen. Durch die Markierungen auf dem Boden wird die Gruppe der Wartenden geteilt: Nichtraucher (Norm, weil Mehrheit) und Raucher (in der Minderheit). Bei längeren Wartephasen lassen sich interessante Beobachtungen machen. Die meisten Raucher stehen in der Markierung, einige stehen genau auf der Linie oder mit einem Fuß Draußen, wenige Rebellen ignorieren die Raucherbereiche komplett. Allein die Markierungen auf dem Boden weisen Rauchenden „ihren Platz“ zu. Verhalten sie sich den Regeln entsprechend, sind sie während des Rauchens nicht Teil der Mehrheit der Wartenden. Sie werden auf ein Merkmal, den Tabakkonsum, reduziert und sind „draußen“, obwohl sie sich mittig auf dem Bahnsteig befinden. Wer raucht darf nicht stehen, wo er möchte.

Jede Diskriminierung fußt auf Unterscheidungen zwischen Gruppen. Eigen- und Fremdgruppe spielen eine große Rolle. Weiß man, wer die anderen sind, weiß man gleichzeitig, wer man selbst ist. Alles, was die anderen sind, ist man selbst nicht. Unterschiede werden überhöht und Überschneidungen sowie Sympathien mit der Fremdgruppe werden ignoriert.

Beim Spaziergang mit der nGbK-Arbeitsgruppe durch Hellersdorf bemerkte ich eine Art „Kunst-Kolonialismus“. Die Einwohner wurden studiert und Unterschiede zwischen „uns“ und „ihnen“ bemerkt. Wer „Draußen“ wohnt, ist ein Außenseiter. Zahlreiche Vorurteile ranken sich um die am Rand der Stadt gelegenen Viertel und deren Bewohner. Hellersdorf ist durch die Schlagzeilen im vergangenen Jahr besonders mit rassistischen Haltungen gegenüber des Flüchtlingsheims in den Medien präsent gewesen. Wenige der Menschen, die im Zentrum Berlins wohnen, kommen oft nach Hellersdorf. „Unerwünscht“ spielt mit verborgenen und offenkundigen Vorurteilen, die sich gegen die Bewohner dieses Teils der Stadt richten. Wie sind die Menschen „da draußen“?
In einem vorurteilsbehafteten Denken aus der Sicht eines „Drinnen“-Städters könnten Antworten auf die Frage sein, wer in Hellersdorfers lebt:

Arbeitslose, Ausländer, Flüchtlinge, Asoziale, Alkoholiker, Raucher, Sich-Ungesund-Ernährende, Arme, Unkultivierte, Politisch-Uninteressierte, Unkreative, Menschen-ohne-Abitur, Tätowierte, Frauem mit Acrlyfingernägeln, Solariums-Gänger, Kriminelle, Vorbestrafte, ...

Diese Kategorien sind überspitzt und dienen der Sichtbarmachung von Vorurteilen. „Unerwünscht“ etabliert Differenzen zwischen den Wartenden an vier verschiedenen U-Bahnhöfen der Linie U5. Als Norm gilt die Mehrheit der Menschen, die den Ort frequentieren, an dem die Kategorien sichtbar gemacht werden. In Hellersdorf sind dies „die Hellersdorfer“. Die Kategorien werden auf den Bahnsteigen als Markierungen aufgebracht. Die Bereiche kennzeichnen, wie die realen Raucher-Bereiche auf Bahnhöfen auch, wer „unerwünscht“ ist. Die plakative Etablierung von Unterschiede mithilfe von einfach verständlichen Icons/Logos provoziert und birgt Konfliktpotential. Die ironische Idee hinter den Bereichen der „Unerwünschten“ liegt in der Abwertung der Bewohners Hellersdorfs durch ein Kunstprojekt, das von Außen kommt und Grenzen zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ aufzeigt, infragestellt oder verhärtet. Wer im räumlichen „Drinnen“ Berlins „drinnen“ ist, ist unter Umständen im räumlichen „Draußen“, in diesem Fall Hellersdorf, „draußen“, sobald er oder sie sich dorthin begibt. Das Spannungsfeld zwischen getrennten sozialen Kontexten, die kaum miteinander interferieren, eröffnet in der Thematisierung dieser Kontexte interessante Fragestellungen. Die künstlerischen Eingriffe starten an den U5-Stationen Hellersdorf, Cottbusser Platz, Neue Grottkauer Str. und Kaulsdorf Nord und ziehen sich dann in den Stadtraum hinein. Die Gestaltung der Bereiche schafft eine optische Zusammengehörigkeit der Bereiche. Das Projekt wird in zwei Phasen durchgeführt. In der ersten wird an den vier U-Bahn-Stationen je eine Kategorie als Markierung aufgebracht. Zusätzlich werden im Stadtraum Hellersdorfs an zwei Standorten Bereiche für „Unerwünschte“. In der zweiten Phase werden an Bahnsteigen und im Stadtraum jeweils drei Bereiche etabliert.
Reaktionen von Passanten werden fotografisch dokumentiert. Die Stärke des Projekts „Unerwünscht“ liegt in der Offenlegung subtiler Vorurteile, die erst durch die vereinfachte Wahrnehmung in Gegensatzpaaren, in schwarz und weiß, sichtbar und somit thematisierbar und diskutierbar werden.

Die Markierungen werden mit gelber Fahrbahnmarkierungsfarbe vom Künstler mithilfe von geplottenen Schablonen und Klebeband aufgebracht. Nach Ablauf der vorgesehen Verweildauer der Arbeit am Ort können die Markierungen entfernt werden, falls dies gewünscht ist, oder als Markierungen auf den Bahnsteigen und im Stadtraum noch länger verweilen. Dokumentation der Reaktionen auf die Bereiche für „Unerwünschte“ werden vom Künstler erstellt.

(nicht realisierter Vorschlag)