Stefka Ammon

Marie-Elisabeth-Lüders-Haus Erweiterungsbau

2012

Zweiter Platz

Beurteilung durch das Preisgericht:

Gegenüber allen anderen Entwürfen besticht diese Arbeit durch die Fokussierung auf den Innenraum und hinterfragt auf Grund eines räumlichen Perspektivwechsels die architektonische Setzung.
Darüber hinaus laden die gewählten Tischgrößen zu einem kollektiven Dialog und Miteinander ein und die Arbeit verbindet in überzeugender Weise den Gastraum mit dem Besuchergruppenraum und den Innenhof, und zwar gleichwertig.
Die Jury folgt der Einschätzung der Entwurfsverfasser: „Der Besucher wird die Dimension und Relationen des Raumes, in dem er sich befindet, neu erfahren – je nach dem wo er seinen Sitz wählt oder wo er gerade steht und die Fluchtlinien an den Wänden und am Boden im Blickwinkel hat: die Dynamik des Raumes bewirkt einen Wahrnehmungsprozess.“ (Zitat aus dem Erläuterungsbericht der Entwurfsverfasser).

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Auslober)

Erläuterung Konzept (Auszüge) Perspektive (von lateinisch perspicere = hindurchsehen, hindurchblicken)

Perspektive bedingt einen Standort. Der Blickpunkt, von dem aus man auf etwas schaut, bedingt das Blickfeld, das man erfassen kann. Für die Mitglieder des Bundestages sind Fragen der Perspektive, des Standortes und des Blickfeldes solche, an denen sich ihre Arbeit beständig ausrichtet. Die Besucher des Bundestages werden ebenfalls mit diesen Fragen konfrontiert, wenn sie sich über die Arbeit der MdBs informieren.

Der Vorschlag beinhaltet die Einbeziehung von Boden und Wänden des Freeflow-Bereiches, des bestuhlten Gast- und Besucherraumes und des Hofes (hier nur Boden). Raster aus XY-Achsen, die im Innen- und Hofbereich jeweils auf einen eigenen Fluchtpunkt (ausserhalb der Räume) hinauslaufen, werden den Boden, die Wände sowie die Glaswand, die den Besucherbereich abtrennt, in neue räumliche Beziehung zueinander setzen. Die zentrale Achse verläuft im Innenbereich über die gesamte Raumlänge von der nordwestlichen Raumecke zur südöstlichen. Im Hof verläuft die Achse von südwestlicher in nordöstlicher Richtung.

Inspiration für den Entwurf sind die im und am Gebäude wiederkehrenden Rasterelemente, die die räumlichen Dimensionen betonen und gliedern. Die Raster des vorgeschlagenen Entwurfes durchlaufen in ihrer Ausbreitung vom Fluchtpunkt in den Raum hinein Hochformat, Quadrat und Querformat. Sie befärdern eine Reflexion über den eigenen Standort in Bezug auf Raum, Sichtachse und Wahrnehmung. Auf physischer wie auch auf metaphorischer Ebene wird durch das vorgeschlagene Raumkonzept der Blick subtil geschärft: der Fluchtpunkt beider Raster liegt ausserhalb der jeweiligen Räume – Standortbestimmung in einem Koordinatensystem setzt die Kenntnisse der Parameter dieses Systems voraus.

Der Besucher wird die Dimension und Relationen des Raumes, in dem er sich befindet, neu erfahren – je nach dem wo er seinen Sitz wählt oder wo er gerade steht und die Fluchtlinien an den Wänden und am Boden im Blickwinkel hat: die Dynamik des Raumes bewirkt einen Wahrnehmungsprozess.

Die Umsetzung erfolgt ohne die Einbeziehung zusätzlicher Werkstoffe. Das Gestaltungselement Raster wird in die vorhandenen Materialien der Bauelemente eingepasst:

– die Bodenfliesen (Innen: Anröchter Dolomit, Aussen: Serpentino verde vittorio) werden in konischen, trapezfärmigen Zuschnitten verlegt
– an die Wände werden in klassischer Verarbeitung Stuckleisten aus Gips angebracht (streichbar in der Farbe der Wände)
– die Scheiben der Glastrennwand werden mittels Ätzmattierverfahrens gerastert
– die geplante Decken- und Beleuchtungsstruktur soll erhalten bleiben.

Für die Bestuhlung schlage ich ein abgewandeltes Konzept vor, mit langen Tischen und Einzelstühlen, deren Ausrichtung die Fluchtlinien der Bodenfliesen betonen. Diese Tische folgen der konischen Form der Bodenfliesen – so wird das Raumerlebnis auch auf die Möbel erweitert. Gäste sitzen unterschiedlich entfernt einander gegenüber – die langen Tische oder auch Tafeln fördern ein gemeinsames Erlebnis.