Martin G. Schmid

Konstanztinopel

2017

Ort: HTWG Hochschule Konstanz | Dimension Vordach: 4,5 x 23 x 7 m | Dimension Bild: 122 m² | Material: Acrylfarbe, Pigmenttinte auf Beton | Auftraggeber: Baden-Württemberg | Realisierung: 2017

Konstanztinopel
Konstanz und Konstantinopel haben vermutlich beide ihren Namen nach der Familie des römischen Kaisers Konstantin erhalten. Aber nicht nur die Namensgebung verbindet die Städte. Konstantinopel, das heutige Istanbul liegt an der Meerenge des Bosporus. Vom Schwarzen Meer gelangt man durch den Bosporus in das Marmarameer, von dort in die Enge der Dardanellen, um schliesslich in die Ägäis des Mittelmeers zu münden. Die Lage von Konstanz ist sehr ähnlich, wenngleich kleiner. Der Rhein fliesst als Alpenrhein in den Bodensee, der sich bei Konstanz stark verengt und zum Seerhein wird. Danach vergrössert sich der Seerhein zum Untersee, aus dem dann der Hochrhein weiter seinen Lauf nimmt zum Meer. An solchen geographischen Verengungen mit verwinkelten Land-Wasser-Kombinationen haben sich früh Niederlassungen gebildet, weil hier die Wasser- und Landwege und damit der Handel komprimiert wurde.

Unterwasserperspektive
In der räumlichen Situation unter dem schwebenden Dach wurde das gesamte Foyer als Flussbett verstanden. Demgemäss stünde man gleich einem Taucher im Wasser auf dem Grund des Flusses. Blickt man nach oben, sieht man schemenhaft Bote von unten. Das blaugrünliche Wasser verweist auf die Alpennähe des Rheins, der hinter dem Gebäude von rechts nach links fliest. Zwei Ankerseile ragen herab zu dem Betrachter unter Wasser.

Vogelperspektive Gleichzeitig scheint sich der Blick gedreht zu haben und man nimmt das Blaugrün des Wassers nicht mehr als “Taucher” von unten wahr, sondern als Wasseroberfläche aus einer Vogelperspektive. Auf diesem Wasser sieht man grosse Handelsschiffe mit Gütern und Containern die Wasserenge befahren. Diese Perspektive ist einem zunächst vertrauter. Allerdings ist es ungewöhnlich eine Vogelperspektive an der Decke über einem zu sehen. Was unten liegt, liegt oben - was oben liegt, liegt unten. Die Wasseroberfläche wird demnach von beiden Seiten befahren.

Bildraum
Das Deckenbild scheint seine Bildfläche unter dem Vordach zu verlassen, um entlang der Flussrichtung von rechts nach links auf die senkrecht stehende Wand abzugleiten. Durch das Abgleiten des Bildes nach links unten kippt entsprechend die gesamte Motivlage im Bild. Auf Grund der Länge des Bildes und seiner Position auf Decke und Wand öffnen sich je nach Standpunkt immer neue Perspektiven, sowohl in der Position des Bildes als auch in der Binnenstruktur der Bildmotive. Es gibt “optimale Standpunkte”, bei denen je zwei der über Decke und Wand fortlaufenden Bildkanten als eine Gerade erscheinen.

Digitalität
Die digitale Struktur der bildnerischen Vorlage ist deutlich zu sehen. Pixelstrukturen und Vektorisierungen werden je nach Abstand sichtbar, wodurch das Motiv in seine Teile zerfällt und sich als digitale Struktur zeigt. Die Generationen, die durch diese Hochschule gehen, sind bereits „Digital Natives“. Die Bildsprache dieser Generationen wird aufgenommen und ihre scheinbare Oberfläche in Frage gestellt. Den digitalen Oberflächen liegen Strukturen zu Grunde, auf die jeder Einfluss nehmen kann, weil sie gerade nicht die Glätte haben, an der man so leicht abrutscht in ein passives user-using.

Zeit
Die Betonoberfläche wurde zunächst bemalt. Darüber ist die digitale Struktur mittels eines selbst entwickelten Verfahrens auf die Bildfläche transferiert. Übertragungsfehler des Transfers wurden hinsichtlich ihrer Lage, Form und Intensität kontrolliert ins Bild eingelassen. Diese „Fehler“ geben der Malerei den Eindruck einer sofortigen Patina. Das Aufrufen einer digitalen Struktur, in die sich bereits durch eine Patina der Verlauf der Zeit eingeschrieben hat, womit gleichzeitig eine zukünftige Struktur im Vergehen gezeigt wird, führt zum Eindruck einer Zeitirritation. Darin wird die Gegenwart als zukünftig wahrgenommen, von der aus ein Blick in die digitalen Vergangenheit reicht, zu einer Zeit in der wir gegenwärtig leben.

Optisches Phänomen
Fixiert man unentwegt ein bestimmtes Motiv auf dem Deckenbild und bewegt sich gleichzeitig darunter, ohne den Blick abzuwenden, beginnen sich alle Motive auf dem Bild zu bewegen. Nach ca. fünf Schritten langsamen Ganges tritt das anamorphotische Effekt ein.