Conrath/Kreißler

Engler-Bunte-Institut

2019

Über Reste (nicht ausgeführt)

Stroh stellte jahrhundertelang ein landwirtschaftliches Restprodukt dar, das mit nur geringen Nutzen 
weiter zu verwerten war. Es wurde als Streu, zur Wärmedämmung, als Filter, für Matten, Hüte, Malotten oder Strohhalme verwendet, aber all diese Verwendungen stellen mehr oder weniger Notlösungen dar. Seit der Erfindung von Kunststoffen spielte Stroh kaum mehr eine wirtschaftliche Rolle.

Mit der Option, dieses Material auf sein energetisches Potenzial zu untersuchen und zu verwenden, wertet das Engler-Bunte-Institut in Karlsruhe also ein eher ungeliebtes Restprodukt auf und begegnet der lang anhaltenden, praktischen Hilflosigkeit mit wissenschaftlichem Engagement. Das entspricht sowohl dem Zeitgeist, als auch der Notwendigkeit, Produkte menschlicher Arbeit zyklisch und nachhaltig zu verwerten.

Unsere skulpturale Installation „Über Reste“ parallelisiert eine solche Aufwertung in zweierlei Hinsicht ikonografisch: Ein großer, gewickelter Strohballen wird in Bronze gegossen, mit analytischem Ansatz einseitig geöffnet, gesockelt und in einer urbanen Umgebung paradox kontextualisiert. Er wird auf der Spitze einer flachen Pyramide inszeniert. Ihn umgeben nachwachsende Gräser, deren natürliche gelbe Färbung zwar eine Ähnlichkeit mit der Skulptur herstellen, die aber im weiteren gärtnerischen Raum keine Entsprechung findet. Die Installation ist gleichermaßen artifiziell wie natürlich und erinnert nicht zuletzt an Strohballen auf einem abgemähten Feld.

Die analytische Öffnung des Bronzekörpers besteht aus einem mächtigen metrischen Innengewinde, das nur von der Blickseite des Institutes zu sehen ist. Vom übrigen Universitätsgelände ist es nicht einsehbar. Die Skulptur ist mit dieser Öffnung leicht zum Haupteingang hin gedreht und geneigt, so dass auf der Spitze der Pyramide eine Anmutung leichter Instabilität entsteht und der Strohballen ohne großen Aufwand gedanklich ins Rollen zu bringen wäre. Das Material der Skulptur, Aluminiumbronze, ist hell strohgelb.

Abgewandt vom Institut wird auf der Südseite der Pyramide unter der Skulptur ein Schatten der Skulptur als materialisierte Form zu sehen sein. Sie wird aus poliertem Edelstahl gefertigt und befindet sich in einer Position, an der unter natürlichen Bedingungen kein Schatten erscheinen würde. Dieser „spiegelnde und fiktive“ Schatten nimmt aber reale Reflexe der Umgebung auf und verändert den Kontext der Installation entsprechend der Tages- und Jahreszeiten und im Bezug zu Standpunkten der Betrachtung. Die Paradoxie der Wahrnehmung – „was ist wann wie oder warum nicht?“ –, mit der sich unsere künstlerische Frage in „Über Reste“ grundsätzlich befasst, bleibt also dauerhaft erhalten.