KiöR Künstler*innen

Friederike Klotz

friederike-klotz.de

Glaskunst, Installation / Objektkunst, Klangkunst, Konzeptkunst, Lichtinstallation

Bildung:Studium der Bildhauerei


Index

Text

(Texte von Sepp Hiekisch Picard und Clemens Krümmel)

Die Berliner Künstlerin Friederike Klotz kehrt fast zwei Jahrzehnte
nach einer ersten Ausstellungsbeteiligung nunmehr mit einer großen
Übersicht ihrer künstlerischen Arbeit zurück ins Kunstmuseum
Bochum. Aufmerksam geworden war ich auf ihre Arbeit in der Vorbereitung
eines Themenprojektes des Westdeutschen Künstlerbundes,
das im Jahr 2003 unter dem Titel „Klein aber … Miniatur als Konzept“
Künstlerinnen und Künstler präsentierte, die das minimale Format
bewusst einsetzen und gerade durch Verkleinerung, Fragmentierung
oder materialbedingte Größenbeschränkung besondere, konzentrierte
Ausdrucksformen schaffen. Miniatur als künstlerisches Prinzip,
„vergleichbar mit der Intention mancher Schriftsteller (…) in der
komprimierten Kürzelform des Aphorismus, des kurzen Gedichts oder
des tagebuchartigen Fragments eine überzeugende Mitteilungsmöglichkeit
zu finden“, wie es der Kunstkritiker Peter Winter 1982 in einem
Essay zur miniaturistischen Kunst formuliert hat. Friederike Klotz
zeigte seinerzeit eine Auswahl ihrer „Interieurs“: in verschiedenen
Wohnungen fotografierte Einrichtungsgegenstände, die aus den
transparenten Fotos ausgeschnitten in Gießharzkuben zu Miniatur-
Rekonstruktionen der ursprünglichen Wohnmilieus wieder zusammengesetzt
waren. Kleine Objekte, kaum größer als zehn Zentimeter, die
der Betrachter in die Hand nehmen und von allen Seiten anschauen
kann, die sich ihm nur in der Nahsicht überhaupt erschließen. Auch in
der neuen Ausstellung bilden die „Interieurs“ eine wichtige Perspektive
für den Blick auf eine zwanzigjährige konsequente künstlerische Auseinandersetzung.
Miniaturisierung, Aktivierung des Betrachters,
Aufhebung von Distanz sind dabei bildnerische Strategien, die von der
Künstlerin sehr bewusst eingesetzt werden. In einem Gespräch mit
Sebastian Borkhard anlässlich ihrer Einzelausstellung im Rahmen des
Preises der Triennale für Kleinplasik Fellbach 2011 beschreibt Friederike
Klotz ihr künstlerisches Konzept: „Die Miniaturisierung als ein Verfremdungsverfahren,
das sich durch das Verhältnis zum menschlichen
Körper definiert, finde ich interessant. Dabei kann das Modellhafte in
beiderlei Wortsinn eine Rolle spielen: Man kann sich etwas in einem verkleinerten Maßstab wie ein Modell ansehen und sich der Frage des
Überblicks stellen. Man bekommt möglicherweise aber auch modellhaft,
also beispielhaft etwas vorgestellt, dessen Übertragung vom
Kleinen ins Große reizvoll sein kann. Außerdem gefällt mir an der
Miniatur, dass Betrachter sie bei aller Nettigkeit auch deshalb gerne
ansehen, weil sich dabei ein Allmachtsgefühl einstellt und dieser
Ausschnitt der Welt überschaubar und geordnet erscheint.“
Friederike Klotz experimentiert seit Jahren mit verschiedenen technischen
Möglichkeiten, den Blick des Betrachters auf ihre Arbeiten zu
verändern, zu verlangsamen, zu irritieren, ihn aus der normalen Bahn
zu bringen. Bühnenbildhafte Arrangements aus Fotocollagen und
vegetabilen Materialien verwandeln sich in ihren Stereoskopien mit
Hilfe einer 3D-Spiegelkonstruktion zu skurrilen Szenerien. Die Verwendung
von Fresnel-Linsen, großflächigen Linsen aus Kunststoff,
die aufgrund ihres Aufbaus die gleiche brechende Wirkung wie dicke
Glaslinsen haben, ermöglichen Verzerrungen und Verschiebungen,
die immer nur einen kleinen Teil der mit transparentem Verpackungsmaterial
und Marker erstellten Architekturen und Szenerien dem Blick
freigeben, während sich die anderen Teile des Bildes ins Verschwommene
und Undeutliche verschieben. Das geordnete und strukturierte
Ganze, das man auf den ersten Blick zu erfassen meint, löst sich auf
und lässt beim Betrachten ein merkwürdiges Befremden entstehen.
Aus technisch geprägten Zeichnungen entwickelt Friederike Klotz
einerseits gebaute Stadtlandschaften, für deren Architekturen sie
Recycling-Material aus transparentem Plastik verwendet, andererseits
komplexe Bildsysteme aus hintereinander gestaffelten Acrylglasscheiben,
auf welche sie mit Marker zeichnet. Dreidimensionale
Raum- und Wandobjekte, in denen das zeichnerische Element
dominiert und gleichzeitig kinetisch-optische Effekte hervorruft,
sobald sich der Standpunkt des Betrachters ändert. In diesen
„Schichtzeichnungen“ betitelten Arbeiten aus Acrylglas, Marker und
Gewindestangen zeichnet die Künstlerin in verschiedenen Ebenen
geplante oder auch verwirklichte Stadtentwürfe, schafft tiefenräumlich
wirkende Bilder des Urbanen. Anfangs menschenleer, bevölkern
sich diese Stadt- Landschaften in der Folge allmählich mit winzigen
Figuren, Stellvertretern unserer Massengesellschaft. Komplexe
Welten sind in den Sehapparaturen von Friederike Klotz zu entdecken,
die sich auch zu größeren, mit Folien zusammengesetzten Zylindern
formieren können, auf die gezeichnete Städte projiziert werden. Auch
hier das seit den frühen Arbeiten feststellbare künstlerische Prinzip:
Nichts ist eindeutig und nichts erschließt sich dem Betrachter auf den
ersten Blick: Friederike Klotz fordert aktive Einlassung auf ihre künstlerischen
Objekte, deren Seh- und Sinnangebote auf eine sehr direkte
Art faszinieren, zum Entdecken einladen, und sich dabei gleichzeitig
immer wieder zu entziehen scheinen.
Die kinetischen Objekte, Klangskulpturen, Zeichnungen und Collagen
von Friederike Klotz führen uns eine durchaus beklemmende, manchmal
dystopische Welt vor Augen. Sie stellt mit ihrer Kunst Fragen,
fordert den Betrachter zum Nachdenken und zum Stellungnehmen
heraus. Sie tut dies allerdings auf eine subtile und hintergründige
Weise, lässt schon im Titel INWIEFERNO Ernsthaftigkeit und Komik
aufeinanderprallen, ohne deren Gegensätzlichkeit aufzulösen.
Sepp Hiekisch-Picard anlässlich der Ausstellung INWIEFERNO im Kunstmuseum Bochum 2022

Clemens Krümmel, Katalogbeitrag INWIEFERNO 2022
„Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.
Man will sehen, was nach einem greift, man will es erkennen oder zumindest
einreihen können. Überall weicht der Mensch der Berührung durch
Fremdes aus. Nachts oder im Dunkel überhaupt kann der Schrecken über
eine unerwartete Berührung sich ins Panische steigern. Nicht einmal die
Kleider gewähren einem Sicherheit genug; wie leicht sind sie zu zerreißen,
wie leicht ist es, bis zum nackten, glatten, wehrlosen Fleisch des Angegriffenen
durchzudringen. (…) Es ist die Masse allein, in der der Mensch
von seiner Berührungsfurcht erlöst werden kann.“1 Das moderne Wechselspiel
zwischen einem demokratischem Massen-Selbstbewusstsein
und der „Angst vor der Masse“, wie es seit dem 19. Jahrhundert existiert
und von Elias Canetti (hier in seinem Kapitel zum „Umschlagen der
Berührungsfurcht“) oder Bruno Bettelheim in ihren auf Symptome von
Faschismus und Totalitarismus gerichteten Werken analysiert wurde, ist
schon seit langem zur Wirkungsstätte soziopolitischer Statistik geworden.
Deren computergestützte, historisch aufeinander folgende Zellenbildungen
nach unterschiedlichen Ordnungskriterien formulieren nicht nur bei
jeder Etappe neue Fragen – wo die Grenze zur Überwachungsgesellschaft
verläuft und welche Aspekte der bourgeois-modernen Privatheit von ihr
noch nicht vereinnahmt sind. Ihre hierarchischen Ordnungen entziehen
sich in ihrer wachsenden Interdependenz auch immer stärker der visuellen
und räumlichen Vorstellungskraft eines Alltagsbewusstseins, das früher
einmal mit Hilfe proportionaler und perspektivischer Vergleiche wie
„groß-klein“ oder „wichtig-unwichtig“ operieren konnte. Vergleiche haben
sich längst selbst als statisch-perspektivisch erwiesen, wenigen gelingt
es noch, gesellschaftliche Befindlichkeiten über mehr als zwei oder drei
Kriterien gleichzeitig in ihrem aktuellen Denken zu erwecken. Künstlerische
Bilder erzeugen nun solche Gleichzeitigkeit besonders überzeugend,
sie lassen sich leichter diagnostizieren, als gedankliche Grundlage
abwägen und relativieren und mit einer gewissen Distanz als offene
„Unentscheidbarkeit“ behandeln. In Absenz einfacher moralischer
Schlagrichtungen vermögen sie das Ambivalente am Bild der menschlichen
Gesellschaft vielleicht am adäquatesten zu fassen.
Gesellschaftliche Räume und Menschenmassen und ihre Wechselbeziehungen
sind schon vor vielen Jahren zu Grundmotiven in der künstlerischen
Arbeit von Friederike Klotz geworden. Jetzt, wo ich einen Text zu
ihren Arbeiten schreiben möchte, bemerke ich mit schwer einzuordnendem
Widerwillen, wie gerne ich vom aktuellen Wandel der Lebensbedingungen
aller menschlicher Gesellschaften, vom allgegenwärtigen Zustand
der Corona-Pandemie absehen möchte. Der Zustand seit März 2020
scheint sich heute für viele in eine Zukunft zu öffnen, in der die Nähe in
der Masse ihre (nach Canetti) befreienden Aspekte verloren haben wird.
Die Massengesellschaft kann in diesem Sinn von außen – als Mob, als
gefährliche Kräfteverschiebung, als bereite Wiege einer unberechenbaren
Eskalation – wie von innen – als Ort des Ausgeliefertseins, als infektiöser
Superspreader-Event – beargwöhnt und sogar gehasst werden. Wie wird
sich unser inzwischen eingeübter Blick auf die Entleerungen öffentlicher
Restflächen durch präventive Lockdowns und auf die Mengen (und Mobs)
der Protestierenden und die von ihnen und für sie zu fürchtenden
Gefahren in Friederike Klotz‘ urbanen Blick-Räumen niederlassen? Es
werden noch immer Miniaturen und Modelle sein – aber werden uns ihre
modellhaften Durchblicke durch tiefe Gebäudeschluchten, auf animierte
Plätze und Straßen, auf ruhelos rotierende Menschengruppen vielleicht
bald schon wie etwas Historisches, wie ein auf „vor 2020“ zu datierender
Sonderfall erscheinen? Wird sich die oft abgründige Wirkung, die viele
ihnen gegenüber in der Vergangenheit empfunden haben, um einen
unsichtbaren, aber spürbaren Charakter einer angstbesetzten,
infektiösen Nähe erweitern?
Was Klotz‘ Werke schon immer auslösen konnten, war eine unstete Situation
der Aufsicht, des Überblicks über einen selbst geschaffenen Raum,
inklusive überraschender Veränderungen bei leichten Perspektivänderungen,
inklusive irisierender Lichteffekte. Ihre Modelle sah ich zuerst in der
Düsseldorfer Galerie von Ursula Walbröl, sie wirkten auf mich wie miniaturisierte
Bühnenbilder. Zum einen waren da einander auf Regalbrettern
zugeordnete Spiegel, collagehafte Innenräume mit fehlender vierter
Wand, in denen sich fein säuberlich ausgeschnittene Figuren internationaler Staatslenker in fotogesourceten Wildnissen gegenübertraten.
Anderswo sah man im Inneren kleiner Quader aus transparentem
Gießharz „schwebende“ Möbel, die so feingliedrig aus Fotos ausgeschnitten
waren, dass man sich dabei ertappte, in ihrer Nähe die Luft anzuhalten.
Mit der eher aus entomologischen Hobbyzirkeln bekannten Technik
der Sicherung in Gießharz hatte sich die am Walten sozialer Kräfte in
unsozialen Räumen interessierte Künstlerin eine überraschende und
vollkommen überzeugende Technik angeeignet. Das waren skulpturale
Gegenstände, die prinzipiell alle Welt schlucken konnten, nur klein musste
sie sein. Alles, was das Harz in sich aufnehmen konnte, wirkte stumpf
und tot, durch die angedeutete Schwerelosigkeit der skalpellierten Fotopartikel
und das tatsächliche Glänzen des polierten Trägerstoffs aber
merkwürdiger Weise auch fast feierlich. Vor diesen Prototypen hatte
Friederike Klotz für sich unter anderem aus eigenen Fotoserien mit Klassenzimmern,
in denen Kinder gespenstische Erwachsenenmasken trugen,2
ein System räumlicher Bilder entwickelt. Diese „Interieurs“ sind miniaturhafte,
auf eine Ansichtsseite hin organisierte, aber auch spielerisch drehbare
Raumabstraktionen von Wohnungen, Klassenzimmern, Büros. Das
Gussverfahren bleibt an den ungeraden Kanten erkennbar, das Gießharz
lässt die winzigen fotografischen Möbel-Partikel wie trunken in seiner
transparenten Masse schweben. Hier experimentierte Klotz mit einer
Form der Dreidimensionalität, bei der die Wände wie bei vielen späteren
Arbeiten nur als durchsichtige Abstraktionen erschienen.
Die „Interieurs“ führen eine erstaunliche Feinarbeit vor Augen, die offensichtlich
handgemacht und unperfekt erscheint – eben nicht wie ein
durchdesigntes Objekt oder der Stolz eines Paläontologen. Die äußere
Gestalt mag einen an Pflastersteine erinnern, ihre vage modern wirkende
Mischung von Transparenz und Beklemmung schafft ein eingefrorenes
Raumsample, eine Bühnenbild-Miniatur, in der Friederike Klotz nur in
wenigen Fällen ein bewegtes Element einsetzt, wie bei der in einem weißen
Kubus platzierten „Interieur“-Arbeit „Hurra Vakanz“, auf deren Rückseite
eine mit Super8 gefilmte winzige, frustriert in die Hände klatschende
Figur projiziert wird. Mit ähnlichen, in die Tiefe des Sehraums gehenden Schichtungen hatten schon Künstler*innen der 1960er Jahre experimentiert,
wie Acrylglas transportiert der Gießharz ein für die Zeit typisches
Erscheinungsbild, wie es sich im Westen etwa bei Carlfriedrich Claus‘
Textblättern oder auch bei John Cages „Plexigrams“ findet – vor allem in
dem 1969 entstandenen „Not Wanting to Say Anything about Marcel“,
einer Arbeit, die aleatorische Textfragmente auf acht hintereinander
platzierten Acrylglastafeln kombinierte, so dass mit verschiedenen Blickwinkeln
verschiedene Texte entstanden; sie ist eine Reaktion auf den Tod
Marcel Duchamps im Vorjahr und gilt als Cages erstes plastisch-künstlerisches
Werk – auch wenn er eine ganze Reihe davon produzierte, lassen
sie sich heute als Ausnahmen in seinem Werkverzeichnis lesen.
Auch Friederike Klotz setzte (viel später) mit ihren transparenten Bildträgern
an einer historischen Übergangsform zwischen konzeptuellen und
zufälligen, idealen und „retinalen“, auf das Gesehenwerden ausgerichteten
Werkstrategien an. Beiden assoziativ genannten Werken dienten durchsichtige
Schichtungen als materielles Versprechen des prozesshaften,
ephemeren Charakters ihrer sprachlichen Montagen. Friederike Klotz
dagegen begann die stereotypische Möblierung öffentlicher Räume wie
Ideogramme zu verwenden, die als flache Fotografien halb zu stehen, halb
zu schweben schienen. Zurück blieb der Eindruck eines je nach aktueller
dramaturgischer „Fallhöhe“ in Tiefenzonen unterteilten Bühnenaufbaus
– eigentlich ganz so, wie man sie noch vor kurzem in 3D-Kinos, der aktuellen
Form fast ein Jahrhundert alten Fortschrittversprechens sehen
konnte, unbeeindruckt, wenn der Schrecken eines Science-Fiction-
Schockers sich noch drei Schichten weit hinten befand.
In ihren neueren Arbeiten erscheinen die Menschen in anderen Umgebungen
als in solchen simplen Schichtgefügen: Wir sehen sie in sehr unterschiedlichen
durchsichtigen Milieus, deren Form zwischen der Sprache
klassischer Architekturmodelle – aus Plexi-Elementen komponierten
Bauformen – und von innen beleuchteten, geometrischen Skulpturen
schwankt. Die Formen wechseln von Arbeit zu Arbeit, sie sind nicht so
sehr stereometrische Grundformen als vielmehr Topologien und experimentelle Versuchsaufbauten. So bezieht sich Klotz mal auf das allgemeine
Vorbild der historischen künstlichen Biosphären, zwei rundgewölbte
Gänge, die sie nebeneinander von der Decke abhängt und mit Pflanzen
füllt, mal auf den Topos der „Black Box“ mit nach innen gerichteten Spiegeln,
in denen sich der Grundriss der Berliner BND-Zentrale abbildet. Sie
orientiert sich an Zylindern, Kuppeln und Polyedern, der kunsthistorischen
Darstellungen des Turmbaus zu Babel, dessen Spitze sie aus emporstrebenden
Figuren formt, an mehrschichtig überlagerten Halbsphären
wie bei einem Astrolabium… oder sie experimentiert mit einer
Pilzform, in deren wieder durch eine Gussmasse mit tropfenförmigen
Einschlüssen gewonnenem Inneren eine Mikrostadt versunken liegt. Alle
diese unterschiedlichen Formen bergen stilisierte Innenräume, die nur
eine durchsichtige Schicht vom „realen“ Außenraum trennt. Diese Trennung
wird, je nach Bauweise anders, mit besonderen Sehvorrichtungen, in
letzter Zeit vor allem mit so genannten Fresnel-Linsen ausgestattet, was
die durchsichtige Außenhaut in konzentrischen und parallelen Kreislinien
strukturiert, die Lichtwirkung von innen nach außen verstärkt und für
optische Illusionen, Verfremdungen, Stauchungen oder Zerrungen – für
eine drastisch gesteigerte Raumwirkung sorgt. Klotz‘ Inszenierungen
versetzen uns nicht nur durch Draufsicht auf Miniaturwelten in die Figur
des gigantenhaft über seinen Ländern thronenden Leviathan, dem sie eine
grafische Serie gewidmet hat, in der sich sein Riesenkörper aus winzigkleinen
Menschenfiguren zusammensetzt; sie bauen uns auch wirkungsmächtige
visuelle Verstärker, die unsere Wahrnehmung differenziert zu
beschäftigen und zu irritieren vermögen. Die für diese Verstärkung
gewonnenen Techniken stammen oft aus weit zurückliegenden Zeiten und
entfernten Nutzungszusammenhängen – so gehen etwa die Fresnel-
Linsen, die die Künstlerin einsetzt, auf ein im 19. Jahrhundert entwickeltes
Lichtverstärkungsverfahren für Leuchttürme zurück; in ihren Werken
sorgen sie für eine Potenzierung der visuellen Raumerfahrung. Die
angewandten prä-digitalen Techniken variieren, sie vermischen sich mit
schon früher gebrauchten Formen oder vertauschen sich: Manche
Architekturteile sind aus durchsichtigen Stoffen, manchmal sind es
Spiegel oder Linsen, manchmal sind die spezifischen, überaus emphatisch-futuristischen Architekturformen auf diese transparenten Stoffe mit
schwarzem Filzstift aufgezeichnet, wo sie sich mit anderen gezeichneten
Schichten überlagern, manchmal werden die sonst akzessorisch wirkenden
Menschenfiguren aber auch zu Struktur gebenden Elementen.
Die Zeichnungen wirken in ihrer differierenden Aufsatzstärke und ihren
leichten Abweichungen, aber auch in ihrem formalen Kontrast zu den
skulpturalen Elementen deutlich „von Hand gemacht“, sie geben den
Gebilden etwas geradezu Handschriftliches, das sich in einem kommerziellen
Architekturmodell niemals finden ließe.
Obwohl die so geschaffenen Gebilde stets fragile Kompositionen aus Bau
und Zeichnung sind, wirken sie ebenso wenig edel oder geschliffen wie
die früheren Quader. Mal nähern sie sich der emphatischen Eleganz der
antikapitalistisch-utopischen „New Babylon“-Architekturmodelle
(1959–1974) des Künstlers Constant Nieuwenhuys (1920–2005) an,
mal erscheinen sie an ihrer Außenseite wie funktionale Modelle für ästhetische
Versuche wie in der Optical Art, wie zum Beispiel bei den spiegelund
linsengestützten „Integrationen“ eines Adolf Luther (1912–1990),
der allerdings im Unterschied zu Klotz aus seiner Kunst jede Art von
Inhalt heraushalten wollte. Die Auseinandersetzung mit Klotz‘ Arbeiten
funktioniert fast immer so, dass über die Begegnung mit der Erscheinung
der optischen Apparaturen eine Annäherung, ein langsames Einsteigen in
die spezifische Optikalität des jeweiligen Modellereignisses stattfindet.
Seltener werden ihre Arbeiten zu Guckkästen im engeren Sinn, so dass sie
etwa nur einen präzisen Durchblick offerierten – und selbst wenn dieser
eine Blick in einer Arbeit angelegt scheint, findet das suchende Auge
neben der „Ideallinie“ immer noch überraschende Seitenblicke, die aber
nicht wie Unfälle wirken, sondern mit der Zeit verdeutlichen, dass Klotz
nicht mit ruhigen und steifen Betrachter*innen rechnet.
Die Szenerien oder Situationen, die Klotz für uns entwirft, sind meist
spannungsgeladen. Ihren Maßstab und ihren Stimmungswert erhalten sie
durch die oft zu vielen Hunderten sichtbaren Menschenfiguren, die in
ihrem Darstellungsmodus am oberen Ende von StrichmännchenZeichnungen, am unteren Ende des Anthropomorphismus zu finden sind
– was heißen soll, dass sie mehr sind als Strichmännchen, weil sie unterscheidbar
ausgestattet sind oder manchmal auch Gegenstände zugeteilt
bekommen. Insgesamt sind sie den frühen Diagrammzeichnungen von
Julie Mehretu (*1970) vergleichbar, die dann später bei ihren Massendarstellungen,
die sich zwischen vielfarbigen Vektorenlinien sammelten,
zu einem Verfahren überging, das sie „mark-making“ genannt hat und bei
dem jede Figur nur mehr durch einen vertikalen oder geneigten Strich
gestaltet wurde.3 Wie auf ihren Bildern, die allerdings auf großen Flächen
hergestellt werden, formieren sich auch Klotz‘ Figuren zu beweglichen
Gruppen – die in vielen ihrer Arbeiten dann auch tatsächlich über
verschiedene elektrische Impulsprinzipien in ständiger Bewegung sind
– von in unterschiedlichen Richtungen laufenden, in konzentrischen Kreisen
angeordneten Figurengruppen bis hin zu einer Schar von Einzelwesen,
die in der Arbeit „Nationalhymen“ (2010) von den trüb wummernden
Klängen künstlich verlangsamter Nationalhymnen aus der Lifesize-Trommel,
auf die sie platziert sind, wüst durchgeschüttelt und umhergeschubst
werden. Hervorzuheben ist, dass sie trotz ihrer abstrakten menschlichen
Form nicht erzählerisch oder hierarchisch behandelt werden. Wie die
„Interieurs“ eine Art analogen 3D-Scan eines Raums lieferten, lassen sich
Klotz‘ gezeichnete Figuren weder dem „Gekonnten“ einer Figurenzeichnung
noch dem Detailreichtum einer fotografischen oder digitalen Vorlage
zuordnen, sie bleiben diesseits der Technologie. Anders als etwa in
Clemens von Wedemeyers appropriierter Digitalanimation protestierender
Massen im Kontext seiner Rekonstruktion der historischen Leipziger
Montagsdemonstrationen („70.001“, 2019, 16 min.) gehören sie keiner
Gruppe (Demonstrierende / Polizist*innen) zu, sie sind passiv, folgen nur
dem Richtungsimpuls ihres jeweiligen Antriebs, sie haben keine Gesichter,
keine Identität, sie erinnern eher an Menschen. Kalkuliert von Wedemeyer
mit dem Schrecken, den seine Zigtausenden „Agenten“ mit ihrer hohl
dreinstarrenden Avatarhaftigkeit bei den Betrachter*innen seines Videos
auslösen, so kann sich Friederike Klotz darauf verlassen, dass auch ohne
gigantischen Technikaufwand das Auge auch bei ihren einfachen Bewegungsschemata
ausreichend irritiert, abgelenkt, überfordert wird. IhreFiguren passieren einander knapp, fallen ins Auge wie durcheinander
wandernde Zielpunkte im Fadenkreuz eines Schützen, der immer wieder in
Vordergrund oder Hintergrund seiner Sichtlinie weggelockt wird – dabei
wirken sie durch den faserigen, ungenauen Strich des Filzschreibers
zumindest irgendwie „beseelt“, und die Feinheiten der zeichnerischen
Bewegung verleihen ihnen eine nicht benennbare Charakteristik und
„Muskelmasse“. Sie werden zu dramatischen Agenten in einem Stück, das
weder Komödie noch Tragödie, sondern ein schwer zu begreifendes, aber
gut nachzufühlendes Konzert ist, in dem sich Faszination und Horror vor
dem skopischen Regime dieser Welt-Boxen im sukzessiven Wechsel
unserer Betrachtungswinkel und -distanzen unvorhersehbar ablösen.
Auch wenn die derzeitige Raumkrise, das Streben nach strikter
Vermeidung aller Zusammenrottungen das nahezulegen scheint, sind
Friederike Klotz‘ Massen nicht kommunikationspessimistische Angstprojektionen,
sondern ambivalente Gefilde. Sie stoßen mit ihrer
befremdenden Stumpfheit ab und laden zugleich – wie bei Canetti
festgestellt – dazu ein, in ihnen aufzugehen. Präzise in einem fein
instrumentierten Sehort platziert, verweisen sie uns aus der ameisenstaathaften
Gemengelage wieder und wieder auf unkontrollierbar sich in
den Vordergrund schiebende Einzelagenten.
1
Zit. n. Elias Canetti, Masse und Macht, Hamburg 1960, S. 11-12; der zweite Bezug betrifft Bruno Bettelheim, Aufstand gegen die Masse.
Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft (orig. The Informed Heart. Autonomy in a Mass Age, 1960), Frankfurt am Main 1980.
2Friederike Klotz, „Hurra Vakanz “ (2002, ausgestellt im Künstlerhaus Bethanien, Berlin), und die Filmprojektionsarbeit „Wie man die Erde in
die Luft sprengen könnte“ (2007).
3Interview des Autors mit Julie Mehretu, in: Ausst.-Kat. In Praise of Doubt / Elogio del dubbio, Palazzo Grassi, Venedig 2011, S. 134142.

Vita

Einzelausstellungen (Auswahl)
2022 Friederike Klotz, Galerie M+R Fricke Berlin
2021 INWIEFERNO Kunstmuseum Bochum
2019 Kunstverein Paderborn
Galerie M+R Fricke, Berlin
2017 Der gemessene Durchschnitt, Galerie M+R Fricke, Berlin
2014 Bedeckter Himmel, Kunstverein Dortmund
MENSCHEN PFLANZEN GEBÄUDE, Galerie M+R Fricke, Berlin
2013 Im Kreis das All am Finger, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen
2011 Galerie Ursula Walbröl, Düsseldorf
Städtische Galerie Fellbach
2003 Galerie Ursula Walbröl, Düsseldorf
2002 Hurra Vakanz, Künstlerhaus Bethanien, Berlin
1995 Künstlerhaus Bethanien, Berlin

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2023 Spick-and-Span, Österreichisches Frauenmuseum
Kontaktschleife, Emop Berlin
2022 Hohes Weiß, tiefes Schwarz und manchmal Rot, VdBK, Haus Kunst Mitte, Berlin
2021 ANGST, KEINE ANGST / FEAR, NO FEAR, Times Art Center Berlin
2020 Die gezeichnete Stadt, Berlinische Galerie
Schwarz+Weiß, Käthe Kollwitz Museum Berlin/VdBK
2018 Fortsetzung jetzt, Zitadelle Spandau/VdBK, Berlin
Gipfel, Galerie Zwitschermaschine, Berlin
2017 Capriccio, Haus am Kleistpark, Berlin
Schweben Fliegen Fallen, Kloster Schussenried
Erzeichnen, Galerie Inga Kondeyne, Berlin
2015 Waiting room, Galerie Ursula Walbröl, Düsseldorf
2014 Was Modelle können, Museum für Gegenwartskunst, Siegen
2013 Objects Of My Affection, Galerie M+R Fricke, Berlin
Melos, Galerie im Saalbau, Berlin
2012 Landschaft z. B., Galerie, M+R Fricke, Berlin
2010 LARGER THAN LIFE – STRANGER THAN FICTION, Triennale Kleinplastik Fellbach 2008 Black Paris, Musée d’Ixelles, Brüssel
2007 Black Paris, Museum der Weltkulturen, Frankfurt/M
Achtung Sprengarbeiten, NGBK, Berlin
2006 Black Paris, Geschichte einer schwarzen Diaspora, Iwalewa-Haus, Bayreuth Mooimarkshow, Kunsthalle Exnergasse, Wien
2005 Tauchfahrten, Kunsthalle Düsseldorf
Nicht mit Steinen werfen, Galerie Anita Beckers, Frankfurt/M
2004 Big Machines, Kupferstichkabinett Berlin
Tauchfahrten, Kunstverein Hannover
2003 Modellierte Wirklichkeiten, Landesmuseum Linz, mit Galerie 1:10, Barbara Sturm Miniatur als Konzept, Kunstmuseum Bochum
Galerie Air de Paris, mit Galerie 1:10, Barbara Sturm
Neun Kuratoren, Neun Positionen, Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden
1994 Zeitschnitt, Messepalast, Wien
Spring Project, Ambrosimuseum, Wien
1993 11 Wochen Klausur, Sezession, Wien